Warum Fußball zählt

Fußball-Fans, macht euch bereit: Diesen Sommer sorgt die Frauenfußball-EM in der Schweiz für spannende Matches – und bei uns für akutes Fußballfieber. Doch während sich alle Augen auf die große Bühne richten, spielt sich die eigentliche Magie oft woanders ab: bei den Menschen, die das Spiel zu ihrer Geschichte gemacht haben, und das lange bevor die Welt hingeschaut hat. So wie Rocky Hehakaija Perremuto – ehemalige Straßenfußballerin und heutige Social Entrepreneurin.

Heute ist sie Coach, Mentorin und Gründerin von Favela Street – einer Initiative, die junge Menschen durch Fußball stärkt. In Ländern wie Haiti, Brasilien oder Südafrika zeigt Rocky, was möglich ist, wenn der Ball wirklich ins Rollen kommt. Für TRAINING DAY haben wir mit der Allrounderin gesprochen – über ihre Liebe zum Sport und darüber, was sie immer wieder aufs Spielfeld zurückbringt. Match für Match.

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“ Fußball hat mir eine Stimme gegeben, als ich keine Worte hatte. ”

- Rocky Hehakaija Perremuto

Erzähl uns etwas über dich.

Ich bin 41 Jahre alt, verheiratet mit der Liebe meines Lebens, Bettina, und wir leben zusammen in Amsterdam – gemeinsam mit unseren geliebten Katzen, die ehrlich gesagt das Sagen im Haus haben. Mein Vater, der von den Molukken abstammt, war mein erstes Fußball-Idol. Ich gehöre zu den wenigen Frauen, die sich in der Straßenfußball-Welt durchgesetzt haben – nicht nur mit Skills, sondern mit Leidenschaft, Ausdauer und dem tiefen Glauben daran, dass Fußball etwas für Menschen bewegen kann.

Was ist deine allererste Erinnerung an Fußball?

Meine erste Fußball-Erinnerung ist mit meinem Vater. Er hatte unglaubliches Ballgefühl – und er war derjenige, der mir meine ersten Tricks beigebracht hat. Ich hatte meinen Ball immer dabei, spielte in seinem Schatten und hab mir alles abgeschaut.

Wie sieht ein typischer Trainingstag bei dir aus?

Ein perfekter Trainingstag beginnt mit einem echten Kälteschock – im besten Sinne. Ich geh auf den Balkon, atme tief durch und mache einen Cold-Water-Plunge. Danach gehts los. Trainingsklamotten an und ab zu Vondelgym. Ich trainiere Kraft oder Boxen – mit Reffel oder Anne vom Boxing Culture Club. Zwei Coaches, die mich fordern und immer real bleiben. Wenn Cardio ansteht, tausche ich die Handschuhe gegen den Lenker und düse mit dem Rennrad an der Amstel entlang. Da fühl ich mich wirklich frei. Und wenn der Arbeitstag vorbei ist, schnapp ich mir den Ball und geh raus auf die Straße.

Wie hat Fußball dich geprägt?

Ich kann mit Überzeugung sagen: Fußball hat mich zu der Frau gemacht, die ich heute bin. Für mich ist es nicht einfach nur ein Sport – es ist mein Herzschlag. Ohne Fußball wär ich nicht Rocky. Fußball war in jedem Kapitel meines Lebens da. Es hat mir eine Stimme gegeben, als ich keine Worte hatte. Es ist meine Sprache – eine, die überall funktioniert, direkt von Herz zu Herz. Ich könnte ewig so weitermachen, weil es einfach so viel mehr ist als nur ein Game.

Wer waren deine Fußball-Idole, als du aufgewachsen bist?

Als ich aufgewachsen bin, gabs kaum weibliche Fußballstars, zu denen ich aufschauen konnte. Aber eine Spielerin hat alles für mich verändert: Sissi. Sie sah aus wie Ronaldo – Glatze, Selbstbewusstsein – und ihre Skills waren einfach next level. Als ich sie spielen sah, hat sie mich sofort in den Bann gezogen. Endlich eine Frau, die das Spiel mit Style und Freude dominiert. Sie hat mir gezeigt: Ich hab meinen Platz im Fußball.

Du bist die einzige Frau bei den Street Legends geworden – wie kams dazu?

Als Kind war Edgar Davids einer meiner Heroes – Teil des legendären Ajax-Teams von 1995, ein Baller mit echtem Street-Style. Sein Poster hing an meiner Wand, und ich hab davon geträumt, mal mit ihm zu spielen. Und dann wurde dieser Traum tatsächlich wahr: Ich war bei einem Straßenfußball-Turnier auf den Edgar-Davids-Courts in Amsterdam-Oost, als er plötzlich auftauchte – und mich zu einem Battle herausforderte. Ich war völlig überrascht, aber hab natürlich Ja gesagt. Und genau dieser Moment führte zu einer Einladung ins Team der Street Legends – dem besten Straßenfußball-Team der Welt.

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Du hast dir das Kreuzband gerissen – eine Verletzung, die alles verändert hat. Wie bist du damit umgegangen und wie hast du dich neu orientiert?

Mein Kreuzbandriss war einer der härtesten Momente meiner Fußballkarriere. Es ist eine der schwerwiegendsten Verletzungen, die man als Spieler*in erleben kann – vor allem, wenn man auf schnelle Richtungswechsel, explosive Bewegungen und Vertrauen in jeden einzelnen Schritt angewiesen ist. Damals war mir nicht klar, wie ernst es wirklich war – und den Leuten um mich herum auch nicht. Ich hab realisiert, wie wichtig Stärke und Fitness sind. Nicht nur, um zu performen – sondern auch, um den Körper zu schützen und als Athletin langfristig zu bestehen. Danach kamen schwere Knorpelschäden dazu. Und das wars. Meine aktive Karriere war tatsächlich vorbei. Der Mangel an passendem Support, an Wissen und an Investitionen in Reha-Strukturen für Frauen hat mir – wie vielen anderen – die faire Chance auf ein echtes Comeback genommen.

Was steckt hinter Favela Street – wie ist die Idee entstanden?

Die Inspiration, Favela Street zu gründen, gabs schon lange bevor es den Namen überhaupt gab – sie entstand schon im Jahr 2003, da war ich erst 18 Jahre alt. Ich hatte es ins niederländische U18-Nationalteam geschafft und träumte wie viele andere, Profi zu werden. Dann kam eine Einladung von einer niederländischen TV-Produktion: eine Reise nach Rio de Janeiro, um dort andere junge Spieler*innen zu treffen. Was ich dort erlebt habe, hat meine ganze Perspektive verändert. Ich habe junge Menschen getroffen, die viel weniger Ressourcen hatten – aber viel mehr Spirit. Zehn Jahre nach dieser lebensverändernden Reise hab ich Favela Street gegründet – über eine Crowdfunding-Kampagne. Ich wollte etwas schaffen, das diesem Spirit gerecht wird. Etwas, das junge Menschen in marginalisierten Communitys stärkt – durch die Kraft des Fußballs.

Was ist für dich das Besondere am Straßenfußball – im Vergleich zum Vereinsfußball?

Straßenfußball ist der Ort, an dem das Spiel wirklich lebt. Anders als im Vereinsfußball – mit straffen Trainingsplänen, festen Positionen, Coaches und Schiedsrichter*innen – ist Straßenfußball roh, frei und grenzenlos kreativ. Die Straße ist dein Coach. Das Spiel selbst bringt dir bei, was du wissen musst. Und: Es ist radikal inklusiv. Du brauchst keine Mitgliedschaft, kein fancy Equipment, nicht mal richtige Tore – nur einen Ball und ein paar Leute, die Bock auf Fußball haben. Jede*r kann mitspielen, egal wo du herkommst, wie viel Erfahrung du hast oder wie gut du bist. Du lernst, dich durchzusetzen, dich zu connecten – und aus nichts etwas zu machen, das wirklich zählt.

Was ist dein Ritual nach dem Training – Stretching oder direkt ins Café?

Wenn ich die Zeit hab, fahr ich erstmal locker auf dem Bike runter, um aus dem High-Energy-Modus rauszukommen. Danach wird gestretcht – nichts Kompliziertes, einfach den Muskeln die Aufmerksamkeit geben, die sie verdienen. Und zum Abschluss gehts an die Gym-Bar – für einen wohlverdienten Proteinshake.

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“ Du brauchst keine Club-Mitgliedschaft, kein fancy Equipment und nicht mal richtige Tore – nur einen Ball und ein paar Leute, die Bock auf Fußball haben. ”

- Rocky Hehakaija Perremuto

Wie gehst du mit Leadership um – auf dem Platz und abseits davon?

Das Setting kann wechseln – aber die Vision bleibt dieselbe: Mir gehts darum, Menschen darin zu bestärken, ihr eigenes Potenzial zu erkennen und für Impact zu sorgen. Leadership bedeutet für mich nicht Kontrolle oder Autorität. Es geht um Bewusstsein und Intention. Alles, was du sagst, und alles, was du tust, sendet ein Signal – ob auf dem Platz oder im Alltag.

Wenn du auf deine Karriere zurückblickst – worauf bist du am meisten stolz?

Ganz klar: Favela Street. Das ist nicht einfach nur ein Projekt, sondern das Herzstück meiner persönlichen Reise. Alles, was ich erlebt habe – Rückschläge, Erfolge, jede einzelne Lifelesson – hat mich hierhergeführt. Favela Street steht für das, woran ich fest glaube: die Kraft von Menschen, die Stärke von Communitys und die Magie, die entsteht, wenn jemand realisiert: Veränderung beginnt mit mir.

Was ist ein Ziel, das du im Sport noch erreichen willst?

Das ist einfach: Mit Favela Street weitermachen und für immer im Gym bleiben. Das ist meine Vision. Einen Raum schaffen, in dem junge Menschen wachsen können und zu Leader*innen werden – auf ihre ganz eigene Weise. Fußball bleibt mein Werkzeug. Nicht für Leistung, sondern für Transformation. Diese Arbeit treibt mich an und ich weiß: Sie ist größer als ich es bin.

Hast du einen Rat für junge Menschen, die mit Fußball anfangen wollen, aber nicht wissen, wie?

Einfach loslegen. Es gibt nicht den einen Weg im Fußball – probier Styles aus und finde heraus, was dich begeistert. Vielleicht ist es Straßenfußball: schnell, kreativ, frei. Oder Futsal: wenig Platz, viele schnelle Kontakte. Wichtig ist nur: Fang einfach an. Nimm eine Freundin oder einen Freund mit, hab Spaß, vergiss Perfektion. Das Spiel gehört allen – und irgendwo da draußen gibts eine Version, die zu dir passt.

Was bedeutet Erfolg für dich heute – im Vergleich zu früher?

Früher war Erfolg für mich etwas Persönliches. Ich wollte besser werden, meine Ziele erreichen, mich beweisen. Aber mit der Zeit hat sich meine Perspektive verändert. Heute bedeutet Erfolg für mich nicht mehr nur, was ich selbst erreiche – sondern was ich gemeinsam mit anderen aufbaue. Es geht um die Communitys, mit denen ich arbeite. Um die jungen Menschen, die ich unterstütze. Und um den Raum, den wir gemeinsam gestalten. Echter Erfolg ist kollektiv. Es geht darum, Wellen zu schlagen, die weit über die eigene Geschichte hinaus Wirkung zeigen.